In einer Zeit, in der das Begehren stets auch
politisch sein will, erlebt der als neue Freizeitform
des beschädigten Subjekts ein bemerkenswertes Comeback – ausgestattet
mit intellektuellem Überbau, popkultureller Aneignung und der Aura des
Subversiven. Von Sara Rukaj.
Was haben die Queer-Ikone Paul B. Preciado, Fifty Shades of Grey, ein Film namens Babygirl
und der Buchpreisträger Kim de l’Horizon gemeinsam? Nicht viel, aber
sie alle glauben, dass Schmerz, Gewalt und Unterwerfung sexy sind –
oder, was auf dem postmodernen Markt der Beliebigkeit dasselbe meint,
dass Begehren ohne Herrschaft nicht mehr zu haben sei. Einst zur
abgründigen Randerscheinung bürgerlicher Dekadenz erklärt, feiert der
Sadomasochismus heute als popkultureller Empowerment-Mythos fröhliche
Urständ: BDSM gilt als chic, subversiv, queer. Vor allem aber ist er
wahnsinnig kompatibel mit den spätkapitalistischen Algorithmen von
Netflix und Instagram.
Spätestens seit Fifty Shades of Grey darf nun
auch im Reihenhaus mit Carport geknebelt und gefesselt werden – nicht,
weil man die Ordnung infrage stellt, sondern als therapeutische Maßnahme
gegen die libidinöse Ödnis. Der Sadomasochismus wird zur Paartherapie,
das Rollenspiel zur Restverwertung erotischer Leidenschaft. Erika
Leonard alias E. L. James hat nicht nur eine sadomasochistische
Phantasie niedergeschrieben, sondern eine neoliberale Triebökonomie im
Korsett der Einvernehm-lichkeit: Ein Milliardär (natürlich sadistisch)
kauft das Einverständnis einer studentischen Unschuld (natürlich devot) –
und nennt es Liebe. Dass dabei Subkultur zur Prime-Romantik avanciert
und der Handlungsstrang noch plumper ausfällt als in den meisten
Arztromanen, interessiert offenbar niemanden, solange der Vertrag
unterschrieben ist und der »Playroom« geschmackvoll eingerichtet.
Während Christian Greys erotischer Charme das Objekt seiner Begierde,
Anastasia Steele, in einen Zustand hormoneller Willfährigkeit versetzt,
dämmert ihr nach kurzem Widerstand, dass zur Aufrechterhaltung dieses
asymmetrischen Verhältnisses ein Personal Trainer hermuss, um mit dem
testosterongesättigten Habitus ihres Gegenübers überhaupt physiologisch
mithalten zu können. Vor diesem Hintergrund reagiert der Sadomasochismus
– zumindest als urbaner Mittelstandstrend – auf eine Realität, die
selbst sadistisch organisiert ist: durch Leistungsdruck, Konkurrenz und
der ständigen Zurichtung des Körpers zur Ware.
Mit Babygirl (2024) ist Fifty Shades of Grey
nun auch fürs geneigte Arthouse-Publikum im Kino zu bewundern: ein
queerer Indie-Film, in dem das Ringen um Kontrolle, Abhängigkeit und
Lust in die Ästhetik der Selbstermächtigung gegossen wird. Die Kamera
streichelt, statt zu starren, das Setting ist konsensual, die
Gewalt kunstvoll dokumentiert. Wann genau die Züchtigung mit der
Peitsche zur feministischen Praxis umetikettiert wurde, lässt sich nicht
mit Sicherheit sagen – wahrscheinlich irgendwo zwischen der dritten
Welle des Feminismus und der vierten Staffel einer Streamingserie, in
der Selbstermächtigung sich vorzugsweise in Lack, Leder und safe words
artikuliert. Was früher als Ausdruck patriarchaler Gewalt galt, wird
heute als mutige Entscheidung zur eigenen Lust gefeiert. Die
Erniedrigung ist nun nicht mehr Symbol der Unterwerfung, sondern Zeugnis
emanzipatorischer Selbstbestimmung – vorausgesetzt, sie geschieht
freiwillig und in einem bürgerlich abgesicherten Rahmen.
Der eine ein BWL-Porno für gelangweilte
Hausfrauen, der andere ein queeres Kuschel-Kammerspiel mit weiblichen
CEO-Ambitionen, verkaufen sowohl Fifty Shades of Grey als auch Babygirl
unterm Strich dieselbe ideologische Botschaft: Machtspiele als
Selbstverwirklichung, Erniedrigung als Erleuchtung, Schmerz als
Lifestyle. Man soll schließlich zu sich selbst finden – auch wenn das
bedeutet, sich dabei in einen Ledergurt zu schnallen. Unter der Regie
von Halina Reijn und mit Nicole Kidman in der Hauptrolle als CEO Romy,
die eine Affäre mit einem jungen Praktikanten beginnt, wird in Babygirl
ein Bild von BDSM gezeichnet, das so glattpoliert ist wie ein frisch
gewienertes Parkett. Die Darstellung von Macht und Unterwerfung wird
hier nicht in schmutzigen Ecken oder düsteren Kellern verhandelt,
sondern in klimatisierten Büros und luxuriösen Hotelzimmern. Und während
Fifty Shades of Grey immerhin noch den Versuch unternimmt, die seelischen Trümmerlandschaften seiner Figuren auszuleuchten, verzichtet Babygirl
schon ganz auf jede psychoanalytische Kulisse. Die frohe Botschaft
lautet hier: Deine Triebe brauchen keinen Ursprung, keine Geschichte,
keine Rechtfertigung – sie sind einfach da. Und du darfst, wie es der
Zeitgeist verlangt, eine willige Hündin sein, bar jeder Ironie, dafür
mit Boss Babe-Hashtag.
Die geistige Ahnenreihe dieses Irrsinns
reicht tief hinein in den erotischen Irrationalismus der Aufklärung:
Marquis de Sade, der früh erkannte, dass der Mensch im tiefsten Inneren
kein Vernunftwesen ist, sondern ein durchtriebener Triebling. Georges
Bataille, der daraus ein ganzes metaphysisches System der Ekstase und
Transgression bastelte, ein Mystiker des Schmerzes mit bibliophilem
Wahnsinn. Und schließlich Pauline Réage, die mit Geschichte der O
bewies, dass Frauen auch ohne Männer freiwillig alles aufgeben können –
sogar ihre Subjektivität. Während die Sadisten früherer Tage noch offen
ihre Lust an der Übertretung zelebrierten und alles Tugendhafte
verlachten, wähnen sich ihre heutigen Adepten im Vollzug höherer Moral.
Der Schlag ins Gesicht kommt jetzt im Namen des Guten – und trifft umso
sicherer, weil er sich als Fortschritt tarnt. Der Marquis de Sade, der
in seinen Schriften nicht weniger als die vollständige Auflösung der
Moral forderte, verstand den Sadismus als Naturrecht des Stärkeren. Ein
schamloser Nihilist, der in einer Zeit des Umbruchs (man schrieb 1789)
die Fesseln der Vernunft zerschnitt und den Trieb an ihre Stelle setzte.
De Sade war kein Feminist, kein Befreier – er war das Spiegelbild der
Aufklärung, in ihr Gegenteil gestürzt. Dass seine Texte heute in
Genderseminaren zitiert werden, wäre ihm vermutlich selbst ein Rätsel.
Der ursprüngliche Katalysator dieser
zeitgeistkompatiblen Lust am Leiden ist, wie so oft, im
Mittelstandsmilieu der Universitäten anzutreffen. Michel Foucault, einst
Kritiker institutioneller Macht, ist zur Gallionsfigur der
sadomasochistischen Theoriebildung geworden. Aus seinen Überlegungen zu
Biopolitik, Disziplin und Körperregimen hat man eine Art philosophischen
Freibrief gebastelt: Wer sich selbst knebelt, unterläuft die Macht.
Doch gerade in der queeren Aneignung des Sadomasochismus zeigt sich, wie
schnell eine radikale Geste zur ästhetischen Pose wird. Die
Popliteratur steht dem nicht nach, hat das Genre endgültig
entpolitisiert. Die Fantasie von Unterwerfung wird zur Shoppingliste –
mit Konsensvertrag und ausführlicher Anleitung zur Aftercare.
Alles ist erlaubt, solange es sich freiwillig vollzieht. Dass sich unter
dieser Freiwilligkeit eine neue Form von Herrschaft versteckt, bleibt
ausgeblendet. Der Zwang zur Lust ist die neue Askese, der
Vulgär-Liberalismus wird zur Ersatzreligion des fragmentierten
postmodernen Subjekts, das sich selbst nicht mehr spürt.
Wohin der schmerzdurchtränkte Tunnelblick auf den eigenen Körper führt, lässt sich eindrucksvoll am Kontrasexuellen Manifest
des derzeit gefeierten transsexuellen Theoretikers Paul (vormals
Beatriz) Preciado studieren. Für den Absolventen der Päpstlichen
Universität von Comillas ist das Ziel der Geschlechteremanzipation die
technische Überwindung des leiblichen Überbaus. Das Lustempfinden spiele
sich gerade nicht in lebendigen Organen ab, sondern in deren
technischen Prothesen. Hinter dieser eigentümlichen Umdeutung steht der
gekränkte und verachtungsvolle Blick auf den eigenen Körper, der bei
Preciado ein einziger Haufen von Exkrementen ist und deshalb dringend
erlöst werden muss. Dem Manifest beigefügt ist eine ausführliche
Gebrauchsanweisung zum Dildosex, die so trostlos anmutet, dass sich der
Wunsch nach einem sexbefreiten Leben geradezu aufdrängt. Preciado
entwirft ein postpornografisches Subjekt, das sich zwischen
Hormonspritze und Konsensvertrag neu erfindet – als ob sich der Mensch
durch Medikamente und autoritäre Gesellschaftsentwürfe befreien ließe.
Der Körper ist ein Labor, das Geschlecht
eine Prothese, die Lust ein technologisches Dispositiv. Der
philosophische Furor, mit dem Preciado den phallozentrischen Diskurs
dekonstruiert, endet ironischerweise im selben Panoptikum wie Sades
Juliette: nur wer sich ausliefert, darf begehren. So geht es auch dem
Erzähler des nicht-binären Buchpreisträgers Kim de l’Horizon,
der seine Homosexualität zwar zum Teufel wünscht, aber doch nichts
anderes tut, als permanent schwulen Sex zu praktizieren, und das in
einer möglichst krassen, erniedrigenden, von Selbsthass bestimmten Form.
Die Kritik feiert das als authentisch. Aber ist so viel queer-politisch
legitimierte Schwulenfeindlichkeit schon dann ein Schritt in eine
bessere Gesellschaft, wenn man ihr ein progressives Etikett überstülpt?
Rein theoretisch betrachtet ließe sich
das sogar verstehen. Die Wut auf alles Zweigliedrige, also aufs Denken
in Unterscheidungen, stammt aus der letzten Ausdünstung einer
akademischen Sekte, die sich als Emanzipationsversprechen ausgibt,
unterm Strich aber doch nur alten metaphysischen Müll in neue Begriffe
überführt. Was da als
radikale Kritik des Körpers firmiert, ist in Wahrheit bloß eine
Umschrift für das Unbehagen an der Realität – ganz im Sinne der späten
68er, die mit der Welt brechen wollten, weil sie sie nicht ändern
konnten. Preciado und l’Horizon sind keine Irrläufer, sondern Produkte
dieser akademischen Ersatzhandlung: dem Versuch, mit Sprachregelungen
und Identitätsbasteleien das anatomische Schicksal zu überwinden. Dass
das nicht funktionieren kann, ist offensichtlich – darum auch der enorme
ideologische Aufwand, der betrieben wird, um die eigene Ohnmacht als
radikale Erkenntnis zu verkaufen. Kritik daran ist nicht vorgesehen,
höchstens als Beweis für das Fortbestehen der Gewalt, gegen die man sich
so heldenhaft inszeniert und gleichzeitig gegen sich selbst wendet.
Vielleicht ist genau das der Punkt: Die
Freiheit, sich freiwillig zu unterwerfen, ist das perfekte Symbol
unserer Zeit. Wo der Neoliberalismus das Ich zum flexibel
umprogrammierbaren Identitätenbaukasten gemacht hat, wird der Schmerz
zur letzten authentischen Erfahrung verklärt. Was früher die Seele war,
ist heute das vom Körper entfesselte Ich – angeblich fluide, tatsächlich
aber wirr. Preciado und l’Horizon sind die modernen Exegeten einer
Ersatzreligion, in der jede narzisstische Kränkung als unbedingt zu
respektierende Identität gehandelt wird. Insofern ist der neue
Sadomasochismus auch kein Skandal, sondern eine konkrete Antwort auf die
Zumutungen der Gegenwart. Wer sich selbst schlägt, muss nicht mehr auf
Befreiung hoffen. Und wer freiwillig kriecht, kann nicht mehr fallen.
Das ist die Ironie des Liberalismus im Zeitalter seiner vollständigen
Entleerung: selbst der Schmerz muss heute demokratisch legitimiert sein.
@maschahassler8154
vor 28 Minuten (bearbeitet)